Selbstverständlich automatisiert
Gestaltete und gestaltende Gewohnheiten
Theoriearbeit
Diplom 2016
Betreut von Prof. Dr. Martin Gessmann
Hochschule für Gestaltung Offenbach
Welche Bedeutung haben Gewohnheiten für die Gestaltung? Ein Buch, das ich las, welches den schönen Titel „Nichtstun. Eine Kulturanalyse des Ereignislosen und Flüchtigen“ trägt, brachte mich auf diese Frage. Ein Kapitel behandelt unterschiedliche Aspekte von Routinen. Es geht um Ordnung, Berechenbarkeit und Kontrolle. Es geht um das Wohlfühlen und Vertrauen, das Aneignen neuer Umgebungen und auch um Abhängigkeiten. Bei allem spielen Routinen und Gewohnheiten eine große Rolle. In meiner Arbeit bin ich daher der Frage nachgegangen, wie wichtig Gewohnheitsbildungen für die Gestaltung sind und auch andersherum, wie sehr auch das Design Gewohnheiten beeinflusst.
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, habe ich mehrere Bereiche der Gestaltung untersucht und die Gewohnheitsbildung mit ihren Auswirkungen in unterschiedlichen Zusammenhängen betrachtet: Im Bezug auf Produkte, auf Wohnräume, unser Raumverständnis, bis hin zum Mobilitätsverhalten im Stadtraum. Innerhalb dieser Abhandlungen beziehe ich neurobiologische Aspekte der Gewohnheitsbildung, sowie sozialpsychologische Kontexte ein. Wichtige Quellen stellten vor allem Texte von Arnold Gehlen über „Die Seele im technischen Zeitalter“ und seiner Institutionstheorie dar sowie Georg Simmel mit seinen Überlegungen zum Geistesleben in Großstädten und zu räumlichen Ordnungen.
Mein Fazit thematisiert hauptsächlich zwei Aspekte: Zum einen geht es darum, dass der Designer Gewohnheiten gestalten kann und dass auch Gewohnheiten eine Umgebung gestalten können. Interessant ist dabei, dass Designer durch die geplante Bildung einer Gewohnheit quasi ein immaterielles Produkt schaffen können, denn Gewohnheiten werden als Besitz erlebt und verdinglicht. Gerade im Bereich des Interfacedesign und mit dem Aufkommen neuer Unterteilungen des Designs (Servicedesign, User Experience Design etc.) arbeiten wir in Zukunft zunehmend nicht mehr nur an materiellen Produkte, sondern vor allem an dem Immateriellen dahinter, eben auch an den sich ausbildenden Gewohnheiten. Diese gestalten wir jedoch meines Erachtens nach bisher selten bewusst und daher auch nicht verantwortungsvoll und treffend genug, weil wir zu oberflächlich und nicht weit genug denken. Im zweiten Teil des Fazits erkläre ich meine These über die Ablösung von Gewohnheiten durch digitale Assistenzsysteme und diskutiere die Frage, ob dies eine Befreiung für den Menschen darstellt oder nicht. Meine Einschätzung ist weder eine klare Verneinung noch komplette Bejahung, sondern die Erwartung, dass wir mit unserer Lebensweise zwei sich abwechselnde Extreme bewirken: Die Gewohnheitsanteile werden in einigen Lebensbereichen verringert, in anderen deutlich verstärkt.